Wie ich lernte, die Bombe zu erkennen (auf der ich ritt)
Ich setze mich in diesem Blog mit Digital-Ethik auseinander. Wie ich bereits schrieb, beschäftigt mich dieses Thema bereits seit einigen Jahren. Um zu verstehen, wie es dazu kam möchte ich gerne einen kurzen Blick zurückwerfen und eine kleine Geschichte erzählen. Von einem, der voller Naivität, Begeisterung und Abenteuerlust auszog und der dann von Edward Snowden aufgerüttelt wurde.
Ich begann 2004 an der TU Ilmenau Angewandte Medienwissenschaft zu studieren. Da ich bereits in Kindertagen mit BTX und Internet Zuhause sozialisiert wurde, waren es insbesondere die aufziehenden digitalen Kommunikationsmöglichkeiten, die bei mir ein großes Interesse auslösten. Und weil ich mich nicht nur in der wissenschaftlichen Theorie damit auseinandersetzen, sondern gleichzeitig praktische Erfahrungen sammeln wollte, startete ich 2005 mein erstes eigenes Blog. Es war damals für mich sowas wie die Büchse der Pandora, denn ich tauchte anschließend nicht nur tief in die deutsche Blogosphäre ein, sondern ich fand ich schnell wieder in einem hochdynamischen Universum aus digitalen Medien-Möglichkeiten. Es war die Zeit, in der wir den Begriff „Social Media“ kaum in der öffentlichen Debatte verwendeten. Es war die Zeit von Web 2.0, MySpace, Delicio.us, StudiVZ, Lifestream.fm, Mister Wong und Co.
Ich war begeistert von dem, was sich dort entwickelte, es prägte mein damaliges Leben und mein Studium. Meine Diplomarbeit verfasste ich zum Thema „Sozialmediale Intereffikation – Über das (Zusammen-) Spiel von Public Relations und Journalismus in und über Social Media“. Zeitgleich führte mich mein Weg in eine große Digital-Agentur nach Berlin. Schwerpunkt war damals die Beratung von Hochschulen und politischen Institutionen in Sachen Social Media und digitaler Kommunikation. Es war eine Zeit, in der wir Ministerien bei der Frage begleiteten, ob sie damit beginnen sollten Soziale Netzwerke wie Facebook zu verwenden – und ob sie dies überhaupt dürften (Stichwort: Datenschutz). Insbesondere letzte Frage diskutierten wir zeitweise leidenschaftlich im Team.
Ich war von dem enormen Potential Sozialer Medien für die Gesellschaft überzeugt. Transparenz; Kommunikation auf Augenhöhe; Partizipation; Kollaboration; Schwarmintelligenz, Aufbrechen von Hierarchien und Machtstrukturen etc. Doch die Utopien der Anfangszeit wurden schnell von der profitorientierten Realität ein- und noch schneller überholt. Das Web begann sich zu wandeln. Obwohl ich nach wie vor als überzeugter „Social Media Evangelist“ agierte, begann in mir eine Ahnung heranzuwachsen, dass sich das Ganze auch in eine negative Richtung entwickeln könnte. Damals sicherte ich mir (zwischenzeitlich) die Domain asocialmedia.de, A-soziale Medien – wie dystopisch sich die Teilöffentlichkeiten und Echo-Kammern, über die wir schon damals diskutierten, gesellschaftlich negativ auswirken sollten, realisierten wir erst Jahre später mit der Präsidentschaft von Trump richtig.
Mein eigener Weg führte mich Schritt für Schritt weg von öffentlichen Institutionen und hin zu profitorientierten Akteuren, heißt Unternehmen und Konzerne. Längst war klar, dass das Öl von Social Media nicht die vermeintliche Kommunikation auf Augenhöhe war, sondern die Daten, die im Vorder- insbesondere aber im Hintergrund gesammelt und angereichert wurden. Es war faszinierend zu überlegen, zu was die in den Sozialen Netzwerken hinterlegten, aber auch jene im digitalen Zahlungsverkehr gesammelten Informationen alles genutzt werden könnten.
Ich arbeitete damals nicht mehr als Berater für Social Media und digitale Kommunikation, sondern als Digital Stratege. Das heißt, es ging nicht mehr (nur) darum zu überlegen, wie und was auf Sozialen Netzwerken kommuniziert wird, sondern tiefgreifende Unternehmensstrategien zu entwickeln, die schussendlich zu nichts anderem führen als zu… gesteigertem Profit. Eines meiner damaligen Hauptprojekte war die Entwicklung eines Daten-CRMs für einen großen DAX-Konzern. Die dahinter liegende Vision war es, dass Verkäufer*innen beim Erstkontakt alle relevanten Informationen über die potentiellen Kund*innen hatten. Identifiziert und eingeblendet über eine Linse (hallo Googleglass), angereichert über diverse (soziale) Kanäle und analytisch hinterlegt auf einer eigenen Plattform. Wir konzipierten und entwickelten Kampagnen (-Ideen), deren Ziel nicht die vordergründige Awareness war, sondern die einzig und alleine zum sammeln von Daten gedacht waren. Lieblingsfarbe; Hobbies; Bewegungsmuster. Natürlich trieb uns nichts Böses an. Ganz im Gegenteil, wir waren der festen Überzeugung etwas Gutes zu tun. Personalisierte sowie bedarfs- und bedürfnisorientierte Beratung mit dem perfekten Produkt für die Einzelnen, einschließlich der Weiterentwicklung der Angebotspalette.
Unsere Sensibilität im Umgang mit Daten und Informationen war seinerzeit noch recht unausgeprägt. Es war die Pre-DSGVO-Zeit, aus heutiger Sicht war unser Umgang mit den damals gesammelten Daten wahrlich fahrlässig. Dennoch waren wir uns gleichzeitig auch darüber bewusst, dass es gewisse Gefahren gibt, weswegen wir entsprechende Piloten oft nicht in Deutschland sondern in anderen Ländern und Kontinenten durchführten, wo die rechtlichen Rahmenbedingungen mehr Spielraum (und Grauzonen) zuließen. Dennoch, wir taten all das mit einem guten Gewissen, nach wie vor waren wir beseelt von den utopischen Ideen.
Dann kam Edward Snowden. Wir schrieben das Jahr 2013.
Nach den Enthüllungen von Edward Snowden war für mich nichts mehr wie zuvor. Klar, ahnten wir alle, dass mit den Daten, die wir und viele andere sammelten mehr möglich war, als Autos, Flugtickets oder Medikamente zu verkaufen. Dennoch wurde mir durch die belegten Unterlagen von Edward Snowdern erst so richtig bewusst, welches Ausmaß und welches gesamtgesellschaftliches Risiko sich dahinter verbirgt. Und das nicht auf die Zukunft gerichtet, sondern im damaligen Hier und Jetzt.
Ich begann nicht mehr nur zu fremdeln mit meiner Arbeit, sondern empfand richtige Kämpfe in und mir mir. Wie kann ich beruflich gutheißen und tun, was mich privat schockiert und regelrecht anwidert?! Die kritischen Gespräche in meinem nahen beruflichen und persönlichen Umfeld dazu hielten sich in Grenzen, das meiste machte ich mit mir selbst aus. Schließlich zog ich für mich die Konsequenzen, zog mich von besagten Daten-Projekten sowie aus der Digital-Strategie zurück und widmete mich stattdessen mehr und mehr dem unmittelbaren menschlichen Kontakt im innovations-orientierten Umfeld. Das hieß für mich insbesondere Co Creation-Konzepte zu entwickeln und zu moderieren, in denen es darum ging, Innovationen mit (potentiellen) Usern gemeinsam zu entwickeln, Konflikte in Teams zu mediieren, Kreativitätstechniken für Problemlösungen und Innovationen zu nutzen sowie Themen aus den Bereichen moderne und agile Unternehmenskultur voranzutreiben.
In meinem Blog setzte ich mich in den folgenden Jahren unregelmäßig kritisch mit den Auswirkungen der (digitalen) Transformation auseinander (z.B. in „Airbnb & Co: Ein Rundumschlag gegen die disruptive Ideologie“). Ich beobachte und las viel zu den Themen. Als ich dann die Möglichkeit hatte, in einer Bank zu arbeiten reizte mich der hoch-naive Gedanke bei der (positiven) Veränderung von Innen mitzuwirken. Ich verantwortete damals die Entwicklung eines unternehmensinternen Intranets, das sich an den Erfolgsfaktoren von Sozialen Netzwerken orientiert und involvierte entsprechend der Design Thinking-Gedanken Mitarbeitende des Unternehmens bei der Entwicklung. Gleichzeitig bemühte ich mich für Themen zu sensibilisieren, die im Großen und Ganzen der Digital-Ethik zugeordnet werden können. In einer unternehmensübergreifenden Arbeitsgruppe, die sich mit Aspekten der digitalen Transformation beschäftigte warb ich nachhaltig für die Relevanz digitaler Ethik. Nachdem ich 2018 auf der re-publica den Film „The Cleaners“ sah, war es mir eine Freude zu beobachten, wie ich Irritationen auslöste, als ich davon erzählte und im Marketing die strategische Frage stellte, ob das Unternehmen wirklich weiterhin in diesem Umfeld aktiv sein möchte. Es waren aber insbesondere die vielen informellen Gespräche unter Kolleginnen und Kollegen, wo ich mich bemühte eine kritische Reflektion anzuregen und ehrlich gesagt positiv überrascht davon war auf viel Gehör, Interesse und Verständnis zu treffen.
Aus den in den vergangenen Jahren gemachten persönlichen Erfahrungen ziehe ich folgende Schlüsse:
1) Es ist wichtig, dem Thema „Digital-Ethik“ (oder: Reflektierte & Werte-basierte Digital- & Medienkompetenz) dauerhaft und nachhaltig eine hohe Relevanz zukommen zu lassen. Das gilt sowohl für den öffentlichen Diskurs, aber insbesondere für die organisationsinterne Diskussionskultur sowie ganz besonders für die Ausbildung und Lehre.
2) Meinen Beobachtungen zufolge ist ein gewisses Unbehagen und damit eine grundsätzliche Bereitschaft, sich mit dem Thema und den damit verbundenen Fragestellungen kritisch und reflektiert auseinanderzusetzen durchaus vorhanden. Wichtig ist es allerdings, diese Diskussionen auch zu ermöglichen und zu führen.
Nur damit eines klar ist: Ich selbst ordne mich als progessiven Menschen ein. Das heißt auch, ich glaube an die positiven Potentiale von Digitalisierung und des damit einhergehenden gesamtgesellschaftlichen Wandels, der nicht immer nur auf digitale Aspekte begrenzt ist. Ich bin aber auch voll und ganz davon überzeugt, dass wir kritisch reflektieren sollten, was und wie wir es tun, uns über mögliche Gefahren unterhalten und uns auch eigene Grenzen setzen. Eine reflektierte Kompetenz-Vermittlung im Umgang mit digitalen Medien ist entscheidend für die gesamtgesellschaftliche Teilhabe aller und nichtzuletzt das Fundament für unsere offene und liberale Gesellschaft.
Zu diesem reflektierten und kritischen Dialog möchte ich gerne meinen Beitrag leisten. Ich bin ein Fan von leidenschaftlichen Diskussionen, aber auch davon, sich anschließend respektvoll die Hand zu schütteln. Ich möchte hier also niemanden angreifen, sondern zum Nachdenken anregen. Fühlt euch alle zu diesem Dialog herzlich eingeladen <3