Roblox und die Frage nach den Grenzen der Werbung für Kinder
YouTube, Instagram, Facebook, Twitter, Snapchat, TikTok, Twitch, Roblox. Alles soweit bekannt, etabliert und abgerast. Keine relevante digitale Plattform, die nicht innerhalb kürzester Zeit die Aufmerksamkeit (und damit auch Unternehmen) anlockt, wie das Licht die Motten. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Motten das Licht die Nacht hindurch lediglich umkreisen und ihre Tänze aufführen, während die Unternehmen versuchen, die Plattformen für ihre Zwecke zu nutzen und mit ihren (Werbe-)Botschaften übernehmen. Nun, wir leben in 2021 und es scheint, als müssten wir es akzeptieren: Die Fläche geht an die Unternehmen, die Gelder an die Aktionär*innen und die Daten, ja die Daten teilen sich irgendwie all jene, Macht, Geld und Einfluss haben mit dem Ziel, dies weiter auszubauen. Und die Nutzerinnen und Nutzer? Die nutzen, konsumieren, kaufen und spenden.
So weit, so bekannt. Im Grunde sind wir alle freie Menschen, die selbstbestimmt entscheiden können, ob sie etwaige Plattformen und Dienste nutzen möchten und wenn ja, wie. Aber wie sieht es denn eigentlich aus, wenn es nicht um erwachsene Menschen geht, die ihr eigenes Tun und (Nutzungs-)Verhalten reflektieren und bewusst machen, sondern um Kinder?
Moment, Roblox? Geduld, darauf komme ich gleich zu sprechen. Zuvor allerdings möchte ich mir erlauben, einen kleinen Ausflug zu machen. Quasi den Bogen zu spannen, um dann mit ein paar Gedanken, die wir dabei sammeln, auf Roblox zu kommen. Im Grunde sind unsere Worte in der Lage, als Zeitmaschine und Teleporter zu dienen. Dies wollen wir nun kurz nutzen für eine kleine Reise durch Zeit und Raum.
EU Pledge als freiwillige Selbstverpflichtung
Wir beginnen nahe der Geburtstunde von Roblox (2006), allerdings auf der anderen Seite des Atlantiks. 2007 war es, als das sogenannte „EU Pledge“ ins Leben gerufen wurde. Dahinter verbirgt sich eine freiwillige Initiative führender Nahrungsmittel- und Getränkehersteller, die sich dazu verpflichten die Nahrungsmittel- und Getränkewerbung an Kinder unter 12 Jahren zu unterlassen. Damit verbunden woll(t)en sie auch die Produktwerbung an Grundschulen einstellen. In Anbetracht der signifikanten Zunahme von Krankheiten wie Fettleibigkeit, Diabetes Typ 2, Gelenkproblemen, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Kindern eine erhbare Initiative. Zumal viele dieser Erkrankungen auf „falsche“ bzw. unbewusste Ernährung und den übermäßigen Konsum von zuckerreichen, fettigen und ungesunden Nahrungsmitteln zurückzuführen ist.
Kinder sind für viele Werbetreibenden eine bliebte Zielgruppe. Sie lassen sich leichter beeinflussen, als Erwachsene. Die meisten von uns erinnern sich an die eigene Kindheit, als unsere Eltern uns immer wieder eindringlich einimpften keine Süßigkeiten von Fremden anzunehmen und niemals nie mit fremden Menschen mitzugehen. Die meisten von uns haben sich daran gehalten und geben diese wichtige Regel heutzutage auch weiter an die nächsten Generationen. Doch während wie den Kindern die kritische Distanz zu lockenden Menschen verinnerlichen, gelingt uns das im digitalen Raum, wo allerorts Verlockungen warten nicht ganz so gut.
Kinder gehen anders durch die Welt, als erwachsene Menschen, sie sind offener, unbedarfter und sehen nicht überall Gefahren und Risiken. Das macht sie zu Genies in Sachen Lernen und persönlicher Weiterentwicklung, aber eben auch verletzlich und manipulierbar. Das wusste und weiß die Werbeindustrie gut für sich zu nutzen. Bunte Werbespots, glitzernde Verpackungen, verkleidete Clowns, Sammelfiguren und Klamotten mit den Heldinnen und Helden. Disney ist sicherlich die Spitze des Eisberges, „Die Eisprinzessin“ die Blaupause schlechthin.
Kinder sehen die Welt anders
Werbung aktiviert tatsächlich das Gehirn, je emotionaler desto mehr. Und je jünger ein Mensch ist, desto stärker ist er den emotionalen Reizen ausgeliefert. Der präfrontale Cortex ist jener Bereich des Gehirns, in denen die sensorischen Signale des Körper empfangen und mit den Gedächtnisinhalten, Erfahrungen und emotionalen Bewertungen abgelichen wird. Das heißt, hier entsteht die Handlungsplanung und -steuerung eines Menschen. Erst im Verlauf des Lebens entwickelt sich der präfrontale Kortex weiter aus, der eine kognitive Handlungsplanung erlaubt. Das heißt Selbstkontrolle und der reflektierte Umgang von äußerlichen Reizen entwickelt sich erst mit den Jahren bei uns aus.
Bis zu Beginn des Schulalters befinden sich Kinder in der sogenannten egozentrischen Phase. Hier gibt es runtergebrochen nur die eine (eigene) Wahrheit. Das Gehirn reift heran mitsamt des präfrontalen Kortex. Erst im Schulalter beginnen Kinder langsam eine „Theory of Mind“ auszuprägen, in denen sie lernen dass es unterschiedliche Perspektiven auf die Welt gibt. Während Werbung vorher Teil der Wahrheit war und als solche nicht wahrgenommen und unterschieden werden kann, beginnt nun Schritt für Schritt das Verständnis dafür heranzureifen, welche Intention Werbung eigentlich hat. Dies gilt allerdings lediglich für deutlich als solche gekennzeichnete Werbung. Subtile Werbebotschaften können von Kindern in dieser Entwicklungsstufe allerdings noch nicht wahrgenommen und verarbeitet werden. Dies beginnt sich erst ab dem zehnten Lebensjahr langsam auszuprägen.
Kinder sind nicht nur beeinflussbar, sie beeinflussen zudem auch die Kaufentscheidungen ihrer Eltern. Ganz ehrlich, wer springt nicht darauf an, wenn sich die eigenen Kinder Bücher von Elsa wünschen, oder den gelben Lamoghini von Lego. Zudem prägen sich die Marken bei den Kindern nachhaltig ein. Ein Kind, das glühender Fan von Volkswagen oder Apple ist, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter ein*e potentielle*r Kundin sein. Das wissen Unternehmen sehr genau und sie wissen es gut für sich zu nutzen. Selbstverpflichtung hin oder her.
Roblox, das soziale Netzwerk für Kinder
Ich habe zu Beginn dieses Artikels verschiedene Soziale Netzwerke und Online Plattformen aufgeführt. Dabei führte ich auch eine auf, die vielen vielleicht ein Begriff sein wird, aber sicherlich nicht allen. Daher erlaube ich mir, hier nochmal einen kurzen Zwischenstopp einzulegen und auf Roblox zu sprechen zu kommen.
Wie gesagt ist Roblox kein neues Unternehmen, sondern erblickte bereits 2006 das Licht dieser Welt. Wer mehr über den Lebenslauf des Unternehmens wissen möchte, der/m sei gerne der entsprechende Wikipedia-Artikel ans Herz gelegt. Im Grunde genommen ist Roblox eine große Interaktions-Plattform. Nutzerinnen und Nutzer können nach der Registrierung einen eigenen Avatar erstellen und haben Zugriff auf unzählige Spiele. Diese können sie nicht nur alleine spielen, sondern mit Freundinnen und Freunden, mit denen sie sich auch vernetzen und Nachrichten untereinander austauschen können. Roblox ist also nicht nur eine einfache Spiele-Plattform, sondern auch sowas wie ein eigenes soziales Netzwerk. Entwicklerinnen und Entwickler wiederum sind dazu eingeladen, neue Spiele zu entwickeln und bei Roblox einzustellen. Die Spiele sind kostenlos, es gibt aber die Möglichkeit der In-Game-Käufe, die wiederum mit einer eigenen „Währung“ bezahlt werden, den so genannten „Robux“.
Roblox hat Relevanz
Soweit so unspektakulär. Klingt nicht wirklich aufregend. Und ehrlich gesagt verfestigt sich dieser Eindruck auch, wenn man sich die Spiele anschaut. „Einfach“ trifft es wohl ganz gut, um sie zu beschreiben. Die Handlungen sind meist recht simpel, die Auflösung wirkt hölzern und „Legio-esk“, also weit entfernt vom aktuellen State of the Art. Man könnte beim ersten Blick also dazu geneigt sein, Roblox als nette Spielerei einzuordnen, die sicherlich keine wirkliche Relevanz hat. Das allerdings wäre ein Fehler. Denn Roblox ist tatsächlich ein großer Player. Und das ganz besonders bei Kindern unter 13 Jahren.
Valide Zahlen zu finden ist nicht ganz einfach, im aktuellen Eintrag der englischen Wikipedia werden für den August 2020 164 Millionen monatliche (aktive) User genannt, wobei die Hälfte unter 16 Jahren sind. Das sind wohlgemerkt Zahlen aus dem vergangenen Jahr, zwölf Monate später dürften diese signifikant höher liegen. Andere Seiten sprechen von 42,1 Millionen täglichen Nutzerinnen und Nutzern. Im März ging Roblox an die Börse und wurde dort in kürzester Zeit auf knapp 50 Milliarden US Dollaer bewertet.
Brands und Anleger*innen entdecken Roblox
Eine solche Bewertung kommt nicht von ungefähr. Und niemand (oder nur sehr wenige) kauft Aktien und investiert damit in ein Unternehmen, nur um diesen ohne Eigennutz unter die Arme zu greifen. Nein, wo viele Nutzerinnen und Nutzer sind und verweilen, dort liegen auch „Potentiale“. Natürlich ist Roblox interessant für Developer, die mit eigenen Spielen dort Geld verdienen. Vor allem aber ist Roblox interessant für Marken und Konzerne. Wie eine Schafherde ziehen diese von einer Weide zur nächsten, um das frische Gras zu ernten. Und während viele soziale Netzwerke und Online-Plattformen längst etablierter Bestandteil der Marketingstrategien sind, lockt Roblox mit frischem, unangetasteten Gras.
Oder um konkret zu werden: Für Marken und Konzerne ist Roblox längst eine relevante Plattform für eigene Marketingaktivitäten geworden. Volkswagen, Disney, Nike, Gucci oder Warner Brothers sind längst dabei. Teilweise über das schalten von Werbeanzeigen, oftmals aber auch über so genanntes „Branded Gaming“, also eigene Spiele, die sie den Spielenden „anbieten“. Auch diesmal geht es hier darum, den eigenen Marketing-Mix zu erweitern. Und gerade die große sehr junge Nutzerschaft, die zudem sehr viel Zeit dort verbringt, macht Roblox für diese Unternehmen relevant und interessant.
Kinder, die früh in ihrem persönlichem Entwicklungsstadium und in vielen Fällen weitestgehend unbewusst und unreflektiert mit Marken interagieren sind wie wir oben bereits gesehen haben, diesen auch immer in gewisser Weise ausgeliefert. Ohne negativ übertreiben zu wollen stellt sich daher durchaus die Frage nach der Manipulierbarkeit von Kindern in und über Computerspielen. Auch und ganz besonders auch auf digitalen Plattformen wie Roblox und Co.
Die offene Tür
In Berlin fahren seit geraumer Zeit Busse durch die Stadt, auf denen Soldatinnen und Soldaten für den Eintritt in die deutsche Armee werben. 2018 versuchten uniformierte Soldat*innen der Bundeswehr auf die re:publica zu kommen und entrüsteten sich als sich die Versanstalter gegen die Militarisierung des größten europäischen Digitalkonferenz intervenierten. Warum ich an dieser Stelle darauf zu sprechen komme? Weil wir über offene Türen und Grenzen sprechen müssen (und dies explizit NICHT in nationalem Zusammenhang!). In diesem Fall darüber, wo wir die Grenze ziehen möchten, wenn es um Werbung und Marketing im unmittelbaren Umfeld von Kindern und Jugendlichen geht. ParentsTogether sensibilisiert bereits für das Thema der In-App-Verkäufe und kritisiert Roblox in diesem Zusammenhang. Ich würde allerdings gerne anregen, dieses Thema auf einer grundsätzlichen Ebene zu diskutieren. Der Beetle von Volkswagen mag noch so harmlos erscheinen in einem Computerspiel. Wenn die Tür aber offen ist und auch Werbetreibende wie zum Beispiel Luxus-Marken oder (in einem Gedankenexperiment) das Militär eintritt, wie verhält es sich dann? Wollen wir – und wenn ja wie – dass Kinder in jungen Jahren bereits mit Marken wie Gucci interagieren und damit womöglich Bedürfnisse für Luxus-Güter ausprägen, die in ihrem alltäglichen Lebensalltag weiter präsent sind? Und wie verhält es sich mit militärischen Inhalten und Botschaften? Wo gestehen wir Kindern in ihrer Entwicklung werbefreie Räume zu und wo nicht?
Diskussion zu Regulation oder einer freiwilligen Selbstverpflichtung im digitalen Umfeld
2007 wurde mit dem EU Pledge eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Unterlassung von Nahrungsmittel- und Getränkewerbung an Kinder unter 12 Jahren erlassen. Ganz unabhängig davon, wie konsequent und ehrlich diese Initiative funktioniert, so möchte ich dennoch die Frage stellen, ob die Entwicklung rund um digitale Plattformen wie Roblox, nicht Anlass sein könnten (oder sollten) über die Grenzen sowie die Vor- und Nachteile eines (freiwilligen) Verzichts von Werbung für Kinder und Jugendliche im digitalen Umfeld zu diskutieren?!
Eine kurze Anmerkung zum Schluss: Mir ist immer sehr daran gelegen, Themen und Entwicklungen aus unterschiedlicher Perspektive zu betrachten. Ich denke nicht, dass digitale Plattformen, Computerspiele oder soziale Netzwerke per se gut oder per se schlecht sind. Ich bin allerdings der Meinung, dass es wichtig ist gemeinsam zu reflektieren, wie die Chancen und Potentiale, die sich daraus ergeben, am besten nutzen und wie die Gefahren und Risiken minimieren lassen. Es geht hier um Medienkompetenz. Aber es geht auch darum, die Entwicklungen und Auswüchse zu reflektieren und wenn nötig auch zu regulieren.
Ich selbst bin übrigens seit Anfang diesen Jahres bei Roblox aktiv, nachdem mich mein Patenkind im Rahmen des Home Schoolings dazu überredete. Und inzwischen kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, dass dies offenbar kein Einzelfall ist. Wie ich von guten Freunden höre, ist auch bei vielen rumänischen Grundschulkindern Roblox gerade, was für andere einst StudiVZ war: The Place to be. Umso wichtiger, dass wir uns aktiv mit diesem Thema auseinandersetzen.